Ludwig von Stubenrauch

Ludwig von Stubenrauch (1865-1940): Leben und Werk eines Münchener Chirurgen

Gebundenes Buch – 1. Mai 2013
ISBN-Nr.: 9783033039346

Ludwig von Stubenrauch (1865-1940) war ein bedeutender Münchner Chirurg, der als Wissenschaftler und Operateur beachtliche Leistungen vollbracht hat. Anlässlich seines 70. Geburtstages wurde er in der anerkannten „Münchener Medizinische Wochenschrift“ in die „Galerie hervorragender Ärzte und Naturforscher“ aufgenommen. Er begleitete den „bayerischen Nationaldichter“ Ludwig Thoma (1867 – 1921) als Vertrauensarzt am Münchner Rotkreuz-Krankenhaus und versuchte – letztlich vergeblich – dessen unheilbaren Magenkrebs operativ zu behandeln. Gleichwohl stand Stubenrauch nie im Rampenlicht der Öffentlichkeit wie seine Kollegen und Zeitgenossen Ferdinand Sauerbruch (1875 – 1951) und Ottmar von Angerer (1850 – 1919) die als Klinikdirektoren und Ordinarien einen bleibenden Eindruck in der Geschichte der Chirurgie an der Ludwig-Maximilians-Universität München hinterlassen haben.

Dieses Buch unternimmt den Versuch, Stubenrauch aus diesem Schatten heraustreten zu lassen, sein Werk und sein Wirken im Dienste seiner Patienten und der chirurgischen Medizin zu würdigen.

Der aus finanziell gut bürgerlichen und standesbewusst aristokratischen Verhältnissen stammende Stubenrauch, geboren am 30. Mai 1865 in Wasserburg am Inn, strebte nach dem Abitur zielstrebig eine medizinische Karriere an. Bereits als 21-Jährigerbestand er das Physikum und drei Jahre später promovierte er am 15. Juli 1889 mit der Note „magna cum laude“ zum Dr. med. Er beschäftigte sich mit dem Thema „Beschreibung einiger junger menschlicher Früchte aus dem I. und II. Monat der Schwangerschaft“. Ludwig von Stubenrauch begann am 1. Januar 1891 als II. Assistenzarzt und stieg zwei Jahre später (1893) zum I. Assistenzarzt auf. Nach zwei weiteren Jahren (1895) habilitierte sich Stubenrauch als Privatdozent für Chirurgie mit „Untersuchungen über die Elastizität der Harnblase mit Berücksichtigung der isolierten traumatischen Harnblasenzerreissung“.

Eine ausführliche Studienreise führte Ludwig von Stubenrauch 1894 nach Tübingen, Heidelberg, Bern, Kiel, Berlin, Breslau und Wien, wo er sich mit Kollegen austauschte und bei chirurgischen Operationen hospitierte.

Im Januar 1896 wurde Stubenrauch als Privatdozent für Chirurgie an der Universität München aufgenommen. Seine Hoffnung, eine feste klinische Assistentenstelle an der Poliklinik zu bekommen, erfüllte sich nicht. Nach fast sechsjähriger Tätigkeit an der chirurgischen Abteilung unter Ferdinand Klaussner verließ Stubenrauch deshalb Ende September 1896 die Poliklinik im Reisingerianum.

Stubenrauch arbeitete anschließend als Facharzt für Chirurgie am Rotkreuz-Krankenhaus in Neuhausen und leitete dort bis 1914 die chirurgisch-orthopädische Kinderabteilung, die mit Beginn des Ersten Weltkriegs (im August 1914) aufgelöst wurde. Parallel dazu war Ludwig von Stubenrauch in den Jahren von 1903 bis 1912 als chirurgischer Consiliarius und Operateur am Gisela-Kinderhospital in Schwabing tätig.

Als engagierter Kliniker war er unter seinem Mentor, Ottmar von Angerer, sowohl am Dr. von Haunerschen Kinderspital als auch an der Universitäts-Poliklinik in München tätig. Gleichzeitig analysierte er wissenschaftlich ein urologisches Spezialthema über die Harnblase, mit dem er sich – erst dreißig Jahre alt – an der Ludwig-Maximilians-Universität München habilitierte und zum Privatdozenten ernannt wurde (1896).
Neben seinen verschiedenen Tätigkeiten als Uni-Kliniker, als leitender Arzt am Rotkreuz-Krankenhaus München-Neuhausen, als Consiliarius am Gisela-Kinderspital in Schwabing und als niedergelassener Arzt in der Innenstadt war Stubenrauch ein passionierter medizinischer Forscher.

In ausgedehnten Reisen ins In- und Ausland besuchte er medizinische Kapazitäten wie Kehr, Kocher oder Israel, um von ihren Erfahrungen und operativen Techniken zu lernen.
Seine praktischen Erfahrungen und theoretischen Reflexionen legte Stubenrauch kontinuierlich in wissenschaftlichen Beiträgen für die renommierte „Münchener Medizinische Wochenschrift“ nieder, in der er ab 1894 fast ein halbes Jahrhundert lang regelmäßig publizierte.

Sein Renommee als hervorragender Arzt wurde auch dadurch unterstrichen, dass er anlässlich der ersten Tagung der neu gegründeten Vereinigung Bayerischer Chirurgen (am 1. Juli 19911 in München) neben ausgewiesenen Kapazitäten wie Ottmar von Angerer, Albert Krecke und Eugen Enderlen zu den Fachreferenten zählte, wobei er über eines seiner Spezialgebiete, „Myxoedem und Knochenerkrankung“, berichtete.

Seine Arbeiten über die Phosphornekrose gelten bis heute als herausragende Beiträge im Bereich der Arbeitsmedizin. Seine bereits in den 1890er Jahren begonnen Studien über Jodoform-Glycerin waren bahnbrechend in der Wundbehandlung, besonders in den furchtbaren Zeiten des Ersten Weltkriegs, in dem Stubenrauch als praktischer Arzt in vorderster Front diente.
Er war der Mediziner, der dem akuten Hygiene-Problem der Verlausung bei Soldaten durch seine Jodoform-Experimente eine praktische Alternative der faktischen Liquidierung der Läuseplage entgegensetzen konnte. Auch Stubenrauchs Erfindung einer Spezialschiene, die trotz täglicher Verbandswechsel bei Oberschenkel- und Beinfrakturen stabil blieb und nicht abgenommen werden musste, war ein Beispiel für seine kreative chirurgische Praxis.

Nach dem Krieg forschte Stubenrauch in beeindruckender Weise über die Pathologie der Milz und erkannte als einer der ersten deutschen Mediziner die Möglichkeiten zu ihrer Regeneration bzw. Transplantation. Er war ein anerkannter Münchner Chirurg und (so Professor Boehm) „Bayerns bester Operateur“, der deshalb zum Vertrauensarzt des (an Magenkrebs erkrankten) bayerischen Volksschriftstellers, Ludwig Thoma, ausgewählt wurde.

Führende Münchner Mediziner, wie Dekan Rückert oder Kinderchirurg Wilhelm Herzog, bestimmten ihn zum Vertrauensarzt für sich oder ihre Familien.

Trotz Stubenrauchs unbestrittener Verdienste als Operateur und Forscher erfüllte sich sein Wunsch nicht, ordentlicher Professor mit eigenem Lehrstuhl zu werden und eine klinische Chefarztstelle zu bekommen.
Für den Leiter der Münchner Universitätschirurgie (und späteren Medizin-Dekan), Ferdinand Sauerbruch, war Stubenrauch ein höchst willkommener Kandidat, den er im Kampf um das Extraordinariat für Chirurgische Erkrankungen des Kindesalters wie eine Schachfigur gegen seine Gegenspieler am Dr. von Haunerschen Kinderspital, Meinhard von Pfaundler und Richard Drachter, einsetzte.
Der Preis, den Stubenrauch für seine Berufung zum außerordentlichen Professur im von Sauerbruch zurückgeholten Extraordinariat für Allgemeinchirurgie zu zahlen hatte, war hoch: Aus Loyalität zu Sauerbruch verzichtete er auf den chirurgischen Chefarzt-Posten im städtischen Schwabinger Krankenhaus (den dann ein Assistent Sauerbruchs bekam), und seine Ambitionen auf die Leitung der Chirurgischen Universitäts-Poliklinik in der Nachfolge Klaussners wurden von Sauerbruch und Mollier schlichtweg hintertrieben und zunichte gemacht.
Am Ende dieses hochschulpolitischen Ränkespiels hatte Ferdinand Sauerbruch erreicht, was er wollte: Das Extraordinariat wurde in seinen Machtbereich der Allgemeinchirurgie zurückgeholt (mit Stubenrauch als von ihm abhängigen Dozenten), und die vakanten Chefarzt-Posten am Schwabinger Krankenhaus und in der Uni-Poliklinik wurden mit den von ihm favorisierten Kandidaten Dax und Freiherr von Redwitz besetzt.
Als dies alles unter Dach und Fach war, merkte der hochschulpolitisch völlig naive Ludwig von Stubenrauch erst, wie ihm mitgespielt worden war und welche Karrierechancen er objektiv liegen gelassen hatte. Stubenrauch, der keine Lobby hatte, reagierte gekränkt: Er kündigte Mollier die persönliche Freundschaft auf und versuchte, ein inneruniversitäres Ermittlungsverfahren gegen Sauerbruch zu initiieren, da er sich von ihm als Dozent gemobbt fühlte. Dazu kam es nicht, weil Stubenrauch seine Vorwürfe nicht untermauern konnte und letztlich auch deswegen, weil Sauerbruch einen Ruf als Chef der Chirurgie an der Charité in Berlin erhalten hatte (1928).

Tief enttäuscht und innerlich verletzt bat Stubenrauch nach Vollendung seines 65. Lebensjahres im Mai 1930 um seine Emeritierung. „Mir ist die Möglichkeit entzogen worden, meine akademische Laufbahn mit einem selbständigen Lehramt beendigen zu können, welches allein Freiheit der Lehre und Forschung gewährleistet und dadurch befriedigen kann“, hatte er in einer persönlichen Zusammenfassung über die hochschulpolitischen Auseinandersetzungen an der Medizinischen Fakultät der LMU angemerkt.

Die letzten Jahre seines Berufslebens verbrachte Stubenrauch als Chirurg am Rotkreuz-Krankenhaus in Neuhausen und als niedergelassener Arzt mit kleiner Praxis in der Karlstraße 21/1. Danach lebte er zurückgezogen in seiner Wohnung, schrieb bis kurz vor seinem Tod ,am 10. März 1940, wissenschaftliche Artikel zum Schwerpunktthema „Osteopoikilie“ für die „Münchener Medizinische Wochenschrift“ und widmete sich seinem zoologischen Hobby, der Schmetterlingsforschung.

Zusammenfassend kann man sagen: Ludwig von Stubenrauch war ein bedeutender Münchner Chirurg und Wissenschaftler, der völlig zu Unrecht in Vergessenheit geriet. An seinem Können als Operateur und seiner Akribie als Forscher gemessen, hat er sich einen Platz in der Galerie hervorragender Münchner Mediziner verdient.

Oder wie Erwin Payr in der „MMW“ wie ein resümierendes Fazit schrieb:
„Der Naturforscher und Arzt Ludwig von Stubenrauch mit seinen oftmals neuen Arbeitsplänen und originellen Gedanken, mit seiner übergroßen Bescheidenheit und seinem schlichten Wesen, seinem mutigen Bekennertum, ist uns auch in seinem wissenschaftlichen Lebenswerk ein leuchtendes Vorbild eines deutschen Gelehrten.“

Dieses Buch unternimmt den Versuch einerseits die medizinische Karriere und die wissenschaftlichen Leistungen Ludwig von Stubenrauchs zu beleuchten, aber auch anderseits den Machtkampf an der Universität München um einen Grundsatzstreit in der Chirurgie, der gleichzeitig ein wichtiges Kapitel der Münchner Medizingeschichte aufschlug, näher darzustellen.